Unter welchen Voraussetzungen ist die Refraktionsbestimmung in Zykloplegie besonders wichtig?
Zykloplegie ist ein wichtiges Diagnoseinstrument in der Ophthalmologie und Optometrie, um die Akkommodationsfähigkeit des Auges vorübergehend zu lähmen und so eine genaue Refraktionsbestimmung zu ermöglichen. Dies ist besonders bei jungen Patienten/Kunden von Bedeutung, da ihre Akkommodation stark ausgeprägt sein kann, was oft zu einer Überkorrektur von Myopie oder einer Unterkorrektur von Hyperopie führt.1 Dieser Artikel widmet sich der Frage, ob Zykloplegie bei allen Kindern erforderlich ist.
Zykloplegie ermöglicht die temporäre Lähmung der Akkommodation durch die Verabreichung von Medikamenten wie Cyclopentolat oder Tropicamid. Dies führt zu einer Entspannung des Ziliarmuskels, was die exakte Messung des Refraktionsfehlers ermöglicht. Cyclopentolat 1% ist der am häufigsten verwendete Wirkstoff, da er eine schnelle und effektive Lähmung der Akkommodation mit einer kurzen Wirkungsdauer bietet.2 Nebenwirkungen wie Lichtempfindlichkeit und vorübergehende verschwommene Sicht sind jedoch nicht ungewöhnlich.3,4
Zykloplegie wird besonders bei Kindern unter 12 Jahren empfohlen, insbesondere bei Verdacht auf Hyperopie, da die Akkommodation oft überaktiv ist, was zu einer Fehlbestimmung der Sehschwäche führen kann.5 Bei Verdacht auf Pseudomyopie, bei akkommodativen Störungen oder bei latentem Schielen ist die Zykloplegie ebenfalls entscheidend.
Das World Council of Optometry (WCO)6 nennt als beste Screening-Technik zur Erkennung von Kindern mit hohem Amblyopierisiko die nicht-zykloplegische Skiaskopie, die von einem Optometristen durchgeführt wird, der für die Durchführung dieser Technik bei Kindern geschult ist. Wenn der Snellen Dezimal-Fernvisus jedoch gleich oder schlechter als 0.50 sei, bestehe der Verdacht auf einen latenten Brechungsfehler, so dass eine zykloplegische Refraktion ratsam sei.6
Die meisten Sehscreening-Studien bei Kindern empfehlen, zunächst eine objektive binokulare Autorefraktion mit transportablen Geräten wie dem Plusoptix S12C Vision Screener (PlusoptiX GmbH, Nürnberg, Deutschland) oder dem Retinomax (Right Mfg. Co Ltd.- Tokyo, Japan). Diese dienen dem Screening für hohe Ametropien und besonders der schnellen Erkennung von Anisometropien, sind jedoch keine verlässlichen Korrekturwerte!
Denn die nicht-zykloplegische Autorefraktion neigt dazu, die Myopie zu über- bzw. Hyperopie zu unterschätzen, zum Teil in nicht unerheblichem Maß!
Es sollte zur Refraktionsbestimmung also immer eine objektive Skiaskopie (mit oder ohne Zykloplegie) vor dem subjektiven Abgleich durchgeführt werden. Weicht der Wert der subjektiven Refraktion um 0,50 Dioptrien oder mehr vom Skiaskopie-Wert ab, sollte die Skiaskopie wiederholt werden.
Nach der monokularen Refraktion ist auch bei Kindern nicht Schluss! Das Ziel der Fernpunktrefraktion bei Kindern ist, wie bei Erwachsenen die Herstellung des binokularen Gleichgewichts.
Weiterhin gibt uns der in Zykloplegie gemessene Wert lediglich den „wahren“ Refraktionsfehler des Auges. Ob dieser auch in vollem Maße korrigiert wird, kann von der Höhe der altersgemäßen Refraktion und vom Binokularstatus abhängen. Die Vollkorrektur eines hyperopen Kindes mit Esophorie könnte unter Umständen zu einer akkommodativen Esotropie führen.
In Fällen, in denen Zykloplegie unerwünscht oder nicht praktikabel ist, können objektive Refraktionsmethoden eine Alternative bieten. Da nicht-zykloplegische Autorefraktoren bei der Messung von Hyperopie ungenau sein können1, ist eine präzise Fern-Skiaskopie die Alternative der Wahl. Techniken wie das „Nebeln“, also die subjektive Refraktion im Zustand einer Plus-Überkorrektion zu starten, können helfen, die Akkommodation ohne den Einsatz von Medikamenten zu kontrollieren.7
Leitlinien empfehlen die Verwendung von Zykloplegie, insbesondere bei jüngeren Kindern und Hyperopien. Bei älteren Kindern und Jugendlichen kann in bestimmten Fällen auf Zykloplegie verzichtet werden, solange die Akkommodation gut kontrolliert ist. In Fällen von Verdacht auf Pseudomyopie oder Asthenopie sollte jedoch eine zykloplegische Refraktion durchgeführt werden.
Zykloplegie bleibt das Mittel der Wahl für die genaue Refraktionsbestimmung bei jüngeren Kindern, insbesondere bei Hyperopie und latenten Sehfehlern. In anderen Fällen kann jedoch eine sorgfältige Abwägung zwischen den Vorteilen und möglichen Unannehmlichkeiten der Zykloplegie erfolgen – dann kann von geübten Optometristen auf die Zykloplegie verzichtet werden, vorausgesetzt dieser kennt die Grenzen der nicht-zykloplegischen Refraktion, es wird für eine ausreichende Kontrolle der Akkommodation gesorgt, die Skiaskopie beherrscht und bei Anzeichen eines latenten Sehfehlers zur Zykloplegie an einen Augenarzt überwiesen.
Ein großes Anliegen ist es uns, in Zukunft hier auch tolle Abschlussarbeiten aus der Augenoptik mit Bezug zur Kinderoptometrie vorzustellen.
Ilka Kobelt ist Leiterin des Kontaktlinsen-Institutes der Augenarztpraxis Blankenese in Hamburg. Im Rahmen ihrer Masterarbeit an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena verglich sie verschiedene Bedingungen zur Refraktions- und Korrektionsbestimmung bei Kindern. Hierfür war sie bei der Zykloplegie dabei und führte im Anschluss die Refraktionsbestimmung durch. Wir durften Sie zum Interview treffen und ihr ein paar Fragen stellen. Die Veröffentlichung zur Studie gibt es hier.
Du hast im Rahmen deiner Masterarbeit bei der Zykloplegie-Messung dabei sein dürfen und hast anschließend die Refraktion durchgeführt. Welche spezifischen Herausforderungen hast Du bei der Durchführung von Zykloplegie-Refraktionen bei Kindern erlebt, und wie geht man damit um?
Klar ist: Tropfen ist und bleibt kein schönes Erlebnis – weder für Klein noch für Groß.
Die erste Herausforderung ist das Applizieren der Tropfen. Umso älter die Person, desto einfacher und unkomplizierter gestaltet sich das Tropfen. Während der Studie, welche wir vor Kurzem veröffentlicht haben, wussten die Probanden/innen, worauf sie sich einlassen. Nun ist das allerdings nicht immer die Realität im Praxisalltag. Hier kann es schon mal weniger entspannt ablaufen. Häufig wird es laut, Tränen fließen und Fäuste fliegen. Mit ruhiger Art, klaren Worten und schnellem Applizieren der Tropfen kann das Tropferlebnis zumindest kurzweiliger gemacht werden. Die Eltern sollten hierbei unterstützen.
Die Nebenwirkungen der zykloplegischen Augentropfen machen den Personen nach dem Tropfen zu schaffen. Hierfür sind Lichtempfindlichkeit und verschwommenes Sehen die bekanntesten Beispiele. Hilfreich für die nachfolgende Refraktion ist wieder Vertrauen zu gewinnen und Verständnis für die anstrengende Erfahrung aufzubringen.
Könntest Du einige häufige Missverständnisse über die Zykloplegie und deren Notwendigkeit bei der Refraktionsbestimmung aufklären?
Nicht jedes Kind muss bis zum 18. Lebensjahr jährlich unter Zykloplegie refraktioniert werden. Zumeist ist eine zykloplegische Messung nach dem 14. Lebensjahr nicht zwingend notwendig. Zusätzlich zu dem Alter sind der Visus, der Status der Akkommodation und des Binokularsehens wichtige Punkte für oder gegen die Zyklo-Refraktion.
Refraktionen bzw. subjektive Feinabgleiche könnten, v.a. bei Jugendlichen, durch den Optiker/Optometristen durchgeführt werden. Die richtige Durchführung angebrachter Messmethoden ist hierbei essenziell. Um Fehlverordnungen zu vermeiden, v.a. bei jungen Hyperopen und Personen mit Akkommodations-/Schielproblematiken, sollte sich an die Verordnung der Augenärzte/innen oder Orthoptistinnen gehalten werden.
Wie beurteilst Du die Rolle von Alternativen zur Zykloplegie in der modernen Optometrie, insbesondere bei Kindern?
In Deutschland ist die Zykloplegie nur bei der ophthalmologischen Untersuchung möglich. Jedoch haben immer weniger Augenärzte/innen genügend Kapazitäten, Kinder zu untersuchen. Auch wird die Zahl der an Augenarztpraxen angegliederten Sehschulen immer geringer. Doch klar ist, die Versorgung der Kinder darf nicht vernachlässigt werden. Dementsprechend sind Alternativen zur Zykloplegie unverzichtbar.
Wir können helfen! Wichtig hierbei ist, dass richtige Messmethoden gewählt und korrekt durchgeführt werden. Die Skiaskopie und das Nebeln sind hilfreiche Alternativen, um die Versorgung der Kinder vernünftig zu gewährleisten. Natürlich kann es hierbei, v.a. bei kleinen Kindern, gelegentlich zu Herausforderungen kommen. Deswegen gilt: Übung macht den Meister.
Das „Nebeln“ ist eine Alternative zur Cycloplegie-Refraktion. Wie gehst Du hierbei in der Praxis vor?
Zunächst wird der bestmögliche Visus bestimmt. Falls vorhanden, kann dieser mit Werten der (objektiven) Refraktion ermittelt werden.
Nun wird entweder pauschal ein Plus-Glas (bspw. +3,00 dpt) vorgeschaltet oder in mehreren Schritten (je +1,50 dpt) genebelt bis der Visus deutlich abfällt.
Letztlich kann so lang entnebelt werden, bis der bestmögliche Visus erreicht wird. Zu bedenken ist, dass das Kriterium für die Gabe des Korrektionsglases die Visussteigerung ist. Eine Kontraststeigerung/Verkleinerung der Sehzeichen ist nicht gewünscht.
Was sind die wichtigsten Kriterien, die Du anlegen würdest, um zu entscheiden, ob Zykloplegie bei einem bestimmten Patienten/Kunden notwendig ist?
Um einige zu nennen…
Alter, Akkommodation/Binokularstatus, Subjektive Beschwerden, Schielen, Art der Fehlsichtigkeit, Keine zielführende Refraktion.
Wie seid Ihr mit Kindern umgegangen, die Angst vor der Anwendung von Tropfen haben oder negative Erfahrungen gemacht haben?
In der Ruhe liegt die Kraft. Ich nehme mir gern die Zeit, um den Kindern zu erklären, was nun passieren wird und wie wir das Ganze möglichst schnell und ohne Probleme bestreiten. Dabei ist es nie verkehrt, die Eltern mit ins Boot zu holen.
Die Kinder dürfen sich in den Arm der Mama/des Papas legen. Der Kopf kann dabei an die Brust oder den Arm des Elternteils gelehnt werden. Beide Augen werden geschlossen. Bei geschlossenen Augen kommt jeweils ein Tröpfchen in beide Innenwinkel. Die Augen können nun langsam geöffnet werden. Wichtig ist, dass das Kind weiterhin liegen bleibt. Währenddessen werden von dem Elternteil die Hände gehalten, sodass die Tropfen nicht aus den Augen gerieben werden. Zum Tupfen oder Trocknen der Tränen bekommt das Kind ein Tuch.
Zum Ende wird kräftig gelobt!
Gibt es besondere Techniken oder Tipps, die Du empfehlen würdest, um die Zykloplegie bei kleinen Kindern möglichst stressfrei durchzuführen?
Zu Beginn ist es sinnvoll eine Verbindung zu dem Kind aufzubauen. Mit Ruhe und Empathie ist schon eine Menge gewonnen.
Sofern möglich, kann das Tropfen in einem anderen Raum oder einem räumlich abgetrennten Bereich durchgeführt werden. Ohne fremde Zuschauer fühlt sich ein Jeder wohler, v.a. in einer unkomfortablen Situation.
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