Wie entwickelt sich das kindliche Sehen und was sind Anzeichen für Sehprobleme? Die Fähigkeit zu sehen ist nicht angeboren, denn die Sehschärfe und das Zusammenspiel beider Augen müssen sich erst entwickeln
Die Fähigkeit zu sehen ist nicht angeboren, denn die Sehschärfe und das Zusammenspiel beider Augen müssen sich erst entwickeln. Der Lernprozess setzt bereits mit der Geburt ein: Das Auge übernimmt in der ersten Lebensphase die Aufgabe des wichtigsten Vermittlers zwischen Umwelt und Gehirn. Nach Schätzungen des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands (BVA) kann jedes zehnte Kind in Deutschland nicht richtig sehen.1 Sechzig Prozent der Sehschwächen bei Kindern würden laut BVA zu spät erkannt.1 In Folge kann es passieren, dass eine optimale Sehfähigkeit nicht mehr erlernt werden kann.2 Dies kann die gesamte Entwicklung beeinträchtigen und im Erwachsenenalter zum Beispiel bei der Berufswahl einschränken.2 Daher ist es von großer Wichtigkeit dem visuellen System direkt von Beginn an eine große Bedeutung beizumessen.
Achtzig Prozent aller Informationen aus der Umwelt werden über unsere Augen aufgenommen. Durch genaues Beobachten Eures Kindes und eine frühzeitige Vorstellung beim Augenarzt könnt Ihr dafür sorgen, dass Sehstörungen rechtzeitig erkannt werden und die Sehentwicklung normal verläuft.
Die Fixation ist das exakte, zielgerichtete Anblicken eines Objektes. Bei Neugeborenen sind die Sehzellen der Netzhaut (die lichtempfindliche Schicht, die das Innere des Auges auskleidet) noch nicht voll entwickelt. Ein genaues Fixieren erfolgt zunächst lediglich für kurze Dauer und nur mit einem oder abwechselnd mit beiden Augen. Das nicht fixierende Auge schaut oft etwas am angeblickten Objekt vorbei.
Ein gleichzeitiges Fixieren grobstrukturierter Objekte mit beiden Augen erfolgt erst zum Ende des zweiten Lebensmonats. Ein gleichzeitiges Fixieren bedeutet, dass das Gesehene von beiden Augen im Gehirn zu einem Bild verschmolzen wird. Diese Entwicklung ist wichtig für das Erlernen der Auge-Hand-Koordination. Als Folge dieser erlernten Fähigkeit beginnen Kinder in etwa ab dem dritten Lebensmonat, sich Dinge in den Mund zu stecken.
Mögliche Ursachen für ein eingeschränktes Fixieren:
Kurz nach der Geburt ist die Sehschärfe noch sehr schlecht ausgeprägt. Allerdings kommt es schon in den ersten drei Lebensmonaten zu einem starken Anstieg der Sehfähigkeit. Es ist daher von großer Wichtigkeit, frühkindliche Sehstörungen nach der Geburt so zeitnah wie möglich zu erkennen. Während ein Neugeborenes die Welt noch unscharf sieht, besitzt ein einjähriges Kind bereits eine Sehleistung, die in etwa 30%-40% derer eines Erwachsenen entspricht. Am Ende des vierten Lebensjahres ist der Großteil der Entwicklung der Netzhaut abgeschlossen – ein vierjähriges Kind kann einzelne, weit entfernte Sehzeichen bereits fast genauso gut erkennen wie ein Erwachsener.
Mögliche Ursachen für eine eingeschränkte Sehschärfe:
Das Kontrastsehen ist die Fähigkeit, unterschiedlich helle Strukturen zu erkennen. Den höchsten Kontrast von 100% bildet der Unterschied zwischen einem schwarzen und einem weißen Objekt. Erwachsene können Kontraste von weniger als 1% noch unterscheiden, wohingegen Neugeborene 30-40% Kontrast benötigen, um einen Unterschied zu erkennen. Dies ist der Grund, warum viele Spielzeuge und Bilderbücher für Babys zunächst schwarz-weiß sind. Zum Ende des dritten Lebensjahres ist das Kontrastsehen eines Kindes bereits so gut wie das eines Erwachsenen. Das Erlernen des Kontrastsehens ist für die Entwicklung der maximalen Sehschärfe von Bedeutung.
Mögliche Ursachen für ein eingeschränktes Kontrastsehen:
Die Fähigkeit, verschiedene Farben wahrzunehmen und zu unterscheiden, entwickelt sich erst nach und nach. Ungefähr ab der siebten Lebenswoche besitzt das Auge die Voraussetzungen, Farben wahrzunehmen, allerdings muss die Farbunterscheidung erst vom Gehirn erlernt werden. Die Annahme, Babys würden nur schwarz-weiß sehen ist jedoch falsch – so sind auch Babys in der Lage Farben mit unterschiedlich hohen Kontrasten (z.B. rot und weiß) voneinander zu unterscheiden. Ab dem vierten Lebensmonat haben Kinder eine ähnliche Farbsehfähigkeit wie Erwachsene – allerdings muss die Fähigkeit zum Unterscheiden dieser Farben in den ersten Lebensjahren erlernt werden.
Mögliche Ursachen für ein eingeschränktes Farbensehen:
Das Gesichtsfeld ist der Bereich, den ein Mensch sieht, wenn er bei gerader Kopfhaltung geradeaus schaut. Hier wird nicht nur das geradeaus angeblickte Objekt wahrgenommen, sondern auch noch sehr viel von der restlichen Umgebung. Ungefähr ab dem sechsten Lebensmonat ist das Gesichtsfeld eines Kindes so umfassend wie das eines Erwachsenen.
Mögliche Ursachen für ein eingeschränktes Gesichtsfeld:
Sehr nahe Objekte genau zu fixieren und scharf zu sehen, wird als die Fähigkeit zur Akkommodation bezeichnet. Die Sehschärfe bei Neugeborenen ist auf eine Entfernung von ca. 20-25 cm vor den Augen begrenzt – das Scharfstellen noch näherer Objekte ist für Babys daher nicht von Bedeutung. Das Entspannen der Augen beim Blick in der Ferne und das Anstrengen der Augen (Akkommodation) beim Blick auf ein nahes Objekt ist unter anderem eine notwendige Voraussetzung für das Lesen. Diese Fähigkeit entwickelt sich noch in den ersten Lebensjahren und ist erst mit dem zehnten Lebensjahr vollständig ausgebildet.
Mögliche Ursachen für ein eingeschränktes Nahsehen:
Erst das optimale Zusammenspiel beider Augen ermöglicht ein dreidimensionales Sehen – dieses ist die Voraussetzung für einen räumlichen Seheindruck. Durch die Tiefenwahrnehmung, auch bekannt als dreidimensionales Sehen, nehmen wir unsere Umgebung in Höhe, Breite und Tiefe wahr. Dies ermöglicht es, die Entfernung von Objekten richtig abschätzen zu können. Ein zuerst noch eingeschränktes dreidimensionales Sehen beginnt bereits wenige Wochen nach der Geburt einzusetzen und entwickelt sich in den ersten Lebensjahren. Vollständig abgeschlossen ist diese Entwicklung mit dem zehnten Lebensjahr.
Mögliche Ursachen für ein eingeschränktes dreidimensionales Sehen:
Die Entwicklung des Sehens ist komplex und die optimale Ausprägung erfolgt nach und nach in den ersten Lebensmonaten und -jahren, wobei viele Sehfunktionen aufeinander aufbauen. Liegen Störungen in einem Bereich vor, kann sich dies auf andere Bereiche der Sehentwicklung auswirken. Doch wie gut sehen eigentlich Babys und Kleinkinder?
"Besonders einseitige Sehstörungen fallen oft erst spät auf, da das gute Auge meist den größten Teil des Sehens übernimmt."
Jessica Gruhl
Direkt nach der Geburt ist das Sehvermögen noch sehr eingeschränkt. Babys sehen ihre Umgebung zunächst nur unscharf und schemenhaft. Allerdings können bereits Babys unterschiedliche Helligkeiten wahrnehmen. Denn schon bei der Geburt ist der Lichtreflex vorhanden: Wird mit einem hellen Licht ins Auge geleuchtet, so verkleinert sich die Pupille reflexartig. Babys können außerdem schon ruckartige Augenbewegungen durchführen. Auch grobe Muster und Formen mit starkem Hell-Dunkel-Kontrast werden wahrgenommen: Bewegt man ein Objekt mit hohem Kontrast (schwarz-weiß), folgen Babys dieser Bewegung mit unpräzisen Kopfbewegungen. Die beste Sehschärfe liegt zunächst nur in einem Abstand von ca. 20-25 cm vor den Augen – Dinge, die weiter weg sind, werden nicht mehr richtig wahrgenommen.
Bereits mit vier Jahren sind die Sehzellen der Netzhaut (die innerste Schicht des Auges) voll entwickelt. Allerdings hat die Sehfähigkeit noch nicht ihr Maximum erreicht – die Sehschärfe entspricht ca. 60% derer eines Erwachsenen. Auch die Feinmotorik der Augen, also gezieltes Fixieren und Scharfstellen, muss noch weiter gelernt werden und ist erst mit ca. zehn bis zwölf Jahren abgeschlossen.
Ein erster Augencheck sollte bei jedem Neugeborenen direkt nach der Geburt erfolgen. Der Arzt prüft besonders, ob der vordere Teil des Auges transparent ist und keine Trübungen, wie zum Beispiel ein grauer Star (Katarakt), vorliegen. Folgende Empfehlungen gibt der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands (BVA)1:
Wenn Ihr Auffälligkeiten, wie zitternde Augen, eine Trübung der Hornhaut, weiß-graue Pupillen, hängende Augenlieder oder Schielen bemerkt, solltet Ihr sofort einen Augenarzt aufsuchen.
Wenn es in der Eurer Familie Fälle von vererbbaren Augenerkrankungen, Schielen oder Sehschwächen gibt, bei Frühgeburten und Kindern mit verzögerter Entwicklung sollte die Sehentwicklung der ersten Monate frühzeitig überprüft werden.
Auch wenn Ihr keine Auffälligkeiten bemerkt, solltet Ihr mit Eurem Kind spätestens in diesem Alter einen Termin beim Augenarzt vereinbaren.
Durch die Entwicklung der Sehfähigkeit lernen unsere Kinder die Schönheit der Welt erst richtig kennen. Gleichzeitig ermöglicht sie ihnen, diese und weitere wunderbare Schätze mit ihren eigenen Augen zu „entdecken“! Die Bedeutung von gutem Sehen geht aber noch weit darüber hinaus. So steht das Sehen nicht nur in enger Verbindung mit der Umwelt, sondern auch mit vielen anderen Sinnesorganen. Das Sehen löst bei Kleinkindern das Krabbeln, dann das Laufen und Entdecken der Umgebung aus. Die Entwicklung der Koordination der Hände und später der Feinmotorik sind in großem Maße an das Sehen gekoppelt – ein Großteil der motorischen Entwicklung eines Kindes hängt also davon ab, wie gut es SEHEN lernt.
Achtzig Prozent aller Umweltinformationen werden über das Auge aufgenommen und an das Gehirn weitergeleitet. Vieles lernen Kinder dadurch, dass sie Verhalten nachmachen, die sie bei Erwachsenen beobachten. Das Sehen prägt also stark die kognitive und psychosoziale Entwicklung eines Kindes.
Wird das Sehen – insbesondere in den ersten Lebensmonaten – nicht richtig erlernt, kann dies Einfluss auf die gesamte Entwicklung eines Kindes nehmen. Je später Sehstörungen bei Kindern erkannt werden, desto schwieriger wird es für ein Kind, richtig sehen zu lernen.
Besonders einseitige Sehstörungen fallen oft erst spät auf, da das gute Auge meist den größten Teil des Sehens übernimmt.
Lasst Euer Kind daher so früh wie möglich und danach regelmäßig bei einem Augenarzt untersuchen!
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