Prüfmethoden und Sehschärfenbestimmung bei Kleinkindern
Welche Visuswerte sind in in diesem Alter normal und wie ist der Ablauf eines Sehtests?
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Die frühzeitige und präzise Bestimmung des Sehvermögens bei Kindern unter drei Jahren ist von entscheidender Bedeutung für die rechtzeitige Erkennung und Behandlung von Sehproblemen. Die Visusprüfung bei Kindern bis drei Jahren stellt eine besondere Herausforderung für den Untersuchenden dar, da Babys und Kleinkinder meist nicht in der Lage sind, die traditionellen Sehteste mit LEA-Symbolen zu erkennen und zu benennen. Aus diesem Grund werden Preferential Looking Tests (PL) verwendet, die auf der visuellen Präferenz des Kindes basieren.
Bei Preferential Looking (PL) Tests werden Kindern zwei verschiedene Stimuli gezeigt: ein neutrales, graues Objekt gegenüber Streifenmustern kleiner werdender Ortsfrequenzen. Schon lange ist bekannt: aufmerksame und neugierige Kinder bevorzugen es, Objekte mit höherem Kontrast und mehr Komplexität zu betrachten.1,2
Drei gängige Preferential Looking Methoden sind Teller Cards, Cardiff Cards und LEA Paddles.
Ist dem Untersuchenden selbst nicht bekannt, auf welchem der beiden gezeigten Objekte sich der visuelle Stimulus und auf welchem sich lediglich die graue Fläche befindet, spricht man von der „Forced-Choice Preferential Looking“ Methode (FPL), die für mehr Objektivität sorgt.3 Hierbei schließt der Untersuchende aus der Reaktion des Kindes (z.B. Blickrichtung der ersten Fixation nach dem Zeigen des Testes) darauf, auf welcher Seite sich der Stimulus befinden sollte und prüft die Richtigkeit erst im Anschluss.
Eine Möglichkeit, die visuelle Präferenz von Kleinkindern zu untersuchen, ist der Teller Acuity Test.
Dieser besteht aus Karten mit kontrastreichen Mustern oder Bildern. Das Test-Set besteht aus 16 Karten. Eine der Karten ist blanko, die restlichen 15 besitzen auf einer Seite ein Linienmuster unterschiedlicher Ortsfrequenzen (Abbildung 1).
Die ermittelte Rastersehschärfe ergibt sich aus der Anzahl der wahrgenommen Linienperioden.
Eine weiße und eine schwarze Linie zusammen ergeben hierbei 1 Periode (engl. cycle). 30 Perioden pro Winkelgrad (engl. cycles per degree, cy/deg) entsprechen einem Snellenwert von 20/20, also einem Dezimal-Visus von 1.0.
Auf der Rückseite jeder Karte lässt sich jeweils der Snellenwert der gezeigten cy/deg für die Prüfentfernungen 38, 55 und 84 Zentimeter ablesen.
Jede Karte besitzt ein Loch in der Mitte, durch das der Untersucher die Reaktion des Kindes beobachtet. So ist der Untersuchende für das Kind weniger sichtbar und sorgt für geringere Ablenkung und Beeinflussung des ersten Blickreflexes.
Die Karten werden klassischerweise horizontal gezeigt. Bei Kindern mit Nystagmus oder Strabismus kann jedoch auch zusätzlich die senkrechte Richtung hinzugezogen werden, um die Gefahr einer zufälligen Blickreaktion zu reduzieren und ein sichereres Ergebnis zu erhalten.
Beim Teller Acuity Test handelt es sich um eine Forced Choice Methode: Der Untersuchende weiß beim Zeigen der Teller-Cards nicht, auf welcher Seite sich das Muster befindet, sondern gleicht die Position mit der Reaktion des Kindes ab.
Karten vorne nicht mit den Fingern umschließen, da dies die Blickrichtung beeinflussen kann
Die Cardiff Cards sind eine weitere Variante von Preferential Looking Tests, die speziell für die Visusprüfung bei Kleinkindern entwickelt wurden. Sie bestehen aus einer Reihe von Karten mit unterschiedlichen visuellen Mustern oder Bildern (Abbildung 2).
Auf jeder Karte befindet sich ein Sehzeichen, entweder im oberen oder unteren Kartenbereich. Die Sehzeichen werden durch eine weiße Linie, die von zwei halb so breiten schwarzen Linien begrenzt wird, dargestellt. Der graue Hintergrund besitzt die gleiche durchschnittliche Leuchtdichte wie die helle und die dunkle Linie des Sehzeichens.
Übersteigt das Sehzeichen die Auflösungsfähigkeit des Auges, verschwimmt es mit dem Hintergrund und wird vom Beobachter nicht wahrgenommen: die Karte erscheint dann einheitlich grau. Der Test kann in einer Entfernung von 50 Zentimetern oder 1 Meter gezeigt werden, wobei die Karten Visusangaben für beide Entfernungen auf der Rückseite enthalten. Sie decken Visusstufen von 0.1 bis 1.0 ab.
Der Rastervisus ist beim Preferential Looking Test meist etwas höher als beim klassischen Sehtest an Optotypen, da das Sehzeichen lediglich gesehen und nicht benannt werden muss.
30 Perioden pro Winkelgrad entsprechen zwar rechnerisch einem Snellenwert von 20/20 (Dezimalvisus 1.0), die beiden Prüfmethoden erfordern jedoch die Aktivierung unterschiedlicher Hirnfunktionen und sind nicht eins zu eins übertragbar.
Außerdem ist zu beachten, dass bei Amblyopien durch Strabismus der PL-Visus meist zu hoch gemessen wird.4,5 Dies kann in einer geringer gemessenen Sehschärfendifferenz des amblyopen und des nichtamblyopen Auges resultieren.
Dennoch können die meisten Kinder mit Amblyopie mittels Teller- und Cardiff-Cards korrekt identifiziert werden: Die Rastersehschärfe bietet damit eine wirksame klinische Methode der Amblyopieerkennung.6
Die LEA Paddles sind ein häufig verwendetes, einfach zu nutzendes Instrument zur Prüfung der visuellen Präferenz bei Kleinkindern. Sie bestehen aus paddelförmigen Platten, auf denen verschiedene visuelle Stimuli in Form von schwarzen und weißen Linien dargestellt sind (Abbildung 3). Auch hier besitzt eine der Platten kein Muster und ist einheitlich grau. Es werden gleichzeitig die graue und eine gestreifte Platte gezeigt. Ein aufmerksames Kind wird auf das komplexere und spannendere Linienmuster schauen.
Werden die LEA Paddles in einer Prüfentfernung von 57 Zentimetern vor den Augen des Kindes gehalten, so entspricht 1 Zentimeter einer Winkelminute. Die Perioden pro Zentimeter entsprechen also in dieser Entfernung den Perioden pro Winkelminute. Besonders bei Neugeborenen ist eine Prüfentfernung von 57 Zentimetern wahrscheinlich noch zu weit.
In diesem Fall kann die Prüfentfernung auf 30 Zentimeter halbiert werden, wodurch sich auch die Anzahl der Perioden pro Winkelgrad (engl. cycles per degree, cy/deg) halbiert (eine Prüfung in 15 cm würde die Anzahl der cy/deg entsprechend vierteln). Reagiert das Kind auf den Stimulus in einer Entfernung von 1 Meter, so verdoppelt sich die Anzahl der cy/deg.
Auch wenn bei den LEA Paddles der Einfluss des Untersuchenden auf die Blickreaktion etwas höher ist, als bei Teller-Cards, korrelieren die Ergebnisse beider Prüfmethoden gut miteinander.8
Möglichkeit 1:
In einer Hand hältst Du die graue Platte, in der anderen die gestreifte. Halte beide Platten zunächst nach unten zeigend und decke sie dann zügig und gleichzeitig auf. Diese Variante ähnelt der Präsentation der Teller-Cards. Versuche hierbei die beiden gezeigten Platten gleichmäßig (in der gleichen Geschwindigkeit und auf gleicher Höhe) aufzudecken, um eine Beeinflussung der Blickbewegung möglichst gering zu halten.
Möglichkeit 2:
Du hältst die gestreifte Karte hinter der grauen Karte, sodass das Kind zunächst nur die Graue sieht, und ziehst sie dann in entgegengesetzte Richtungen auseinander. Hierbei kann die Bewegungswahrnehmung in die Reaktion des Kindes einfließen. Das Verfahren lässt somit auch Rückschlüsse über das dynamische Sehen des Kindes zu.
"Insgesamt bieten Preferential Looking Tests eine zuverlässige Methode zur Visusprüfung bei Kindern unter 3 Jahren. Durch eine sorgfältige Durchführung und Beobachtung können wir wichtige Informationen über das Sehvermögen des Kindes gewinnen und frühzeitig Sehprobleme erkennen."
Maike Vadersen
Die Prüfung der Sehfunktion mittels visuell evozierter Potenziale (VEP) ist ein diagnostisches Verfahren, das verwendet wird, um die Funktion der Sehbahn im visuellen System zu bewerten. Insbesondere bei Kindern, die möglicherweise nicht in der Lage sind, traditionelle Sehtests durchzuführen oder zuverlässige Antworten zu geben.9,10 Das Verfahren lässt die Quantifizierung einer Sehbehinderung zu.10
Durch Stimulation der Netzhaut mit musterevozierten Potenzialen, wie Linien- oder Schachbrettmustern, werden mithilfe eines am Hinterkopf befestigten EEGs (Elektroenzephalographie) elektrische Potentialveränderungen des Gehirns abgeleitet. Dies erfordert die Fähigkeit zur Fixation. Ist die Fixierfähigkeit nicht gegeben, können blitzevozierte Potenziale mittels Lichtblitzen auf das geschlossene Auge gesendet werden.11
VEP-Tests sind besonders nützlich bei der Einschätzung der Sehleistung von Säuglingen und Kleinkindern, da sie unabhängig von der Mitarbeit des Kindes durchgeführt werden können.12 Sie können auch bei älteren Kindern und Erwachsenen mit bestimmten Sehstörungen oder neurologischen Erkrankungen, wie Multipler Sklerose, eingesetzt werden.12
Das VEP-Verfahren ist also zur grundsätzlichen Überprüfung der Sehbahn geeignet. Die Kombination von VEP und ERG (Elektroretinogramm) erlaubt bei Säuglingen und Kleinkindern mit Sehbeeinträchtigungen oder Blindheit eine Lokalisierung der Störung der Sehbahn zwischen der Netzhaut und dem visuellen Kortex.13 Allerdings ist zu beachten, dass aus einer intakten Übertragungsfunktion der Sehreize nicht zwingend auf eine entsprechende kognitive Verarbeitung geschlossen werden kann.
Jessica Gruhl & Maike Vadersen Kindersicht GbR
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